Eingleisig
Mai 141999
 

Aus zwei mach ein

Eingleisig – demnächst Oberbürgermeister und Oberstadtdirektor in einer Person

(red) Was in anderen Gemeinden und Städten Niedersachsens bereits vielfach praktiziert wird, steht Wilhelmshaven noch bevor. Statt eines Oberbürgermeisters als Ratsvorsitzenden und eines Oberstadtdirektors als Chef der Verwaltung soll es nach der Niedersächsischen Gemeindeordnung (NGO) nur noch den Oberbürgermeister geben, der sowohl dem Rat als auch der Verwaltung vorsteht.

Eine Frage wartet auf Antwort: Wann wird gewählt? Wird das vereinigte Stadtoberhaupt aus der nächsten Kommunalwahl hervorgehen, oder wird es gesondert gewählt? Letzteres wäre im Sinne der Chancengleichheit korrekt.

Und es stellt sich die Frage: Wer kann und soll solch ein Amt bekleiden? Geht es weiter mit dem amtierenden OB? “Die meisten Oberbürgermeister- und Bürgermeisterwahlen (…) leiden unter einem Spannungsverhältnis zwischen dem früheren Mandats- träger und seinem Bewerber um die Nachfolge”, meint Joachim Becker (SPD), der als Oberbürgermeister von Pforzheim entsprechende Erfahrungen gesammelt und in seinem Buch “Erfolg im Wahlkampf” veröffentlicht hat. Außer Menzel schielen weitere Genossen auf den – künftig auch finanziell ganz lukrativen – Job. Der künftige Oberbürgermeister ist Beamter auf Zeit und verdient, glaubt man dem Prospekt “Betrifft: Diäten”, herausgegeben vom (alten) Bundestag, über 4000 DM mehr als ein Bundestagsabgeordneter. Als die Wilhelmshavener SPD 1995 das Thema Eingleisigkeit diskutierte, votierte sie heftig gegen diese Änderung der NGO. Vergebens. Seither hat man von der SPD nichts mehr darüber gehört. Jetzt, da der Tag X immer näher rückt, sollte man eine Bewerberdiskussion erwarten, doch es tut sich nichts.

Und wie werden die örtlichen Funktionäre reagieren, wenn sich plötzlich ein Genosse oder eine Genossin von außerhalb ums Amt bewirbt?
Was machen die Grünen und die Christdemokraten? Weder die einen noch die anderen haben sich bislang geäußert. Lediglich die örtliche FDP hat einen eigenen Kandidaten angekündigt, denn “Wilhelmshaven muss von einer geradlinigen, unver- brauchten Persönlichkeit zu Beginn des neuen Jahrtausends kraftvoll geführt werden”, zitiert die “WZ” vom 19.3.99 den FDP-Kreisvorsitzenden Michael von Teichmann.
Denkbar wäre auch, dass sich eine unabhängige Wählergemeinschaft bildet, um mit einer stadtbekannten Persönlichkeit den etablierten Parteien zu zeigen, dass es auch anders geht.

Die Publizisten sehen potentielle Kandidaten so:

“Die meisten Parteien suchen Bewerber, die sich im Range eines Obergefreiten befinden. Sie sind reine Befehlsempfänger und haben sich der Strategie der örtlichen Honoratioren und solcher, die sich dafür halten, unterzuordnen. Individualität ist nicht gefragt. Gesucht werden Attaché-Case-Typen in mittleren Jahren mit vorzeigbaren Ehefrauen und lustigen Kindern”, so Joachim Becker. Der Politik-Publizist Peter Grafe befasst sich in seinem Buch “Wahlkampf” mit den Personen, die nach einem solchen Amt streben bzw. im Amt sind. Er schreibt, Politik sei für viele eine Möglichkeit, “den eigenen sozialen Aufstieg zu befördern und einige bescheidene Privilegien zu erlangen, die gerade Aufgestiegene nicht mehr gerne aufgeben.” Laut Grafe gibt es “praktisch wenig Möglichkeiten, aus der Politik wieder auszusteigen. Die ursprüngliche berufliche Qualifikation geht meist schon nach ein bis zwei Legislaturperioden verloren, und in der Politik findet nur selten ein Qualifizierungsprozess statt.”

Was erwarten Bürger und Bürgerinnen von einem Politiker an der Spitze eines Gemeinwesens? Nicht nur exzellente Reden zu vielerlei Anlässen. Sie erwarten von ihm, dass er nicht nur selbst in Daueroptimismus macht, sondern durch Taten Optimismus auf die Bevölkerung überträgt. Sie wünschen sich einen Oberbürgermeister, der oft einmal über den Tellerrand der Stadt schaut, der den Draht nach oben nicht rosten lässt und enge und dauerhafte Kontakte zum Umland hält.

In den nächsten Ausgaben werden wir uns eingehend mit sicheren und vermutlichen, mit heimlichen und unheimlichen Bewerbern befassen und es damit unseren LeserInnen etwas leichter machen, sich für den (oder die?) richtigen zu entscheiden.

 

 

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