BSE
Feb 012001
 

Ein Gespenst geht um

BSE: Drei Buchstaben führen auf einen genussvollen Streifzug durch deutsches Erzeuger- und Verbraucherverhalten

(iz) Es muss schon etwas Besonderes passieren, ehe der deutsche Michel auf die Barrikaden geht. Erst wenn es ihm ganz konkret und ganz persönlich an Leib und Leben geht, erwacht er plötzlich zu gelebtem Bewusstsein. Unter dem Einfluss von Gewöhnung, Verdrängung und Vergessen hält dies aber erfahrungsgemäß nicht lange an.

Es ist lange her, dass Hunderttausende für Umwelt und Gesundheit demonstrierten. Von den Anti-Atom-Demonstranten der 70er und 80er Jahre ist heute nur ein harter Kern geblieben, der systematisch den Transport abgebrannter Brennelemente zu verhindern sucht.
Zum Jahreswechsel 1980/81 wurde Deutschland vom Hormonskandal erschüttert. In der Babynahrung und später auch im direkt im Kalbfleisch fanden Lebensmittelkontrolleure hohe Mengen an Östrogenen, mit der Landwirte das Wachstum der Rinderkinder beschleunigten (obwohl dies schon seit 1977 in Deutschland verboten war) und die beim Verbraucher Krebs erzeugen können. Bilder kranker, eingepferchter Kälber gingen durch die Medien. Doch es war wohl weniger die Sorge um die Rinder- als um die Menschenbabys, die zum bis dahin größten Boykott durch deutsche Verbraucher führte. Bauern und Metzger bekamen das schätzungsweise ein halbes Jahr zu spüren. Politik und Polizei wurden aktiv, und das Kalb wurde kulinarisch wieder salonfähig – auch wenn die Tierkinder, statt auf einer grünen Wiese herumzutollen, immer noch in engen Käfigen dahinvegetieren und die „SOKO Sau“ Jahre später immer noch hormonfündig wurde. Nur wenigen ist der Appetit auf Kälbchen dauerhaft vergangen.
1982 gab es einen Fleischskandal namens PSE, der die Deutschen noch nicht so nachhaltig bewegte wie sein späterer Namensvetter. Blasses, weiches, wässriges Fleisch (englisch pale, soft, exudative) von rasch hochgepäppelten Schweinen schrumpelte beim Braten auf ein lächerliches Maß zusammen. Perverse Haltungsmethoden wurden direkt sichtbar, und der Schnitzelesser fühlte sich um seine Mark betrogen.
Jahre, nachdem das Schwein im Topf und die Erinnerung der Verbraucher längst geschrumpft war, wurde das Rind in der Pfanne verrückt. „Mad cows and Englishmen“ titelte „die tageszeitung“ im Mai 1990. Eine seltsame Rinderkrankheit namens „bovine spongioforme Enzephalopathie“ (schwammförmige Hirnerkrankung des Rindes), kurz BSE, die schon 1986 entdeckt worden war, hatte mittlerweile siebzig Prozent der britischen Rinderherden befallen. Obwohl damals noch nicht nachgewiesen war, dass sich die Krankheit auf Menschen überträgt, hatte fast die Hälfte der Briten, unter dem Einfluss der Bilder von taumelnden, stolpernden und schließlich grausam sterbenden Rindviechern, das beef aus der Küche verbannt.
Im Sommer 1990 gab es im Landkreis Vechta ein rätselhaftes Sterben von 30 Rindern, die von einer plötzlich Lähmung befallen und binnen 30 Tagen verendet waren. Als Ursache wurden Erdgasförderanlagen in der Umgebung benannt, auch wenn tierärztliche Untersuchungen dies nicht bestätigten. Ein Verbot der Einfuhr von britischem Rindfleisch bzw. der Verfütterung von Tiermehl seitens der EU bestand damals noch nicht. Kurz darauf mussten in Baden-Württemberg 1200 Schafe notgeschlachtet werden, die an Scrapie – der schafspezifischen BSE-Variante – erkrankt waren.
Lange blieb BSE ein britisches Problem. Obwohl 1997 wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass die für den Menschen tödliche Creutzfeld-Jacob-Krankheit höchstwahrscheinlich durch BSE-verseuchtes Fleisch hervorgerufen wird – die Bilder dahin siechender Briten waren, bei allem Mitgefühl, zu weit weg, um deutschen Fleischessern den Appetit gänzlich zu vermiesen. Doch immerhin war der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Rindfleisch in Deutschland zwischen 1990 und 1998 von 14,8 auf 10,5 kg zurückgegangen. Für die Fleischerfachgeschäfte bedeutete das allein 1996 300 Millionen DM Umsatzverlust.
Als 1997 die 24jährige Britin Clare Tomkins, seit ihrem zwölften Lebensjahr Vegetarierin, an Creutzfeld-Jacob erkrankte, wurde klar, dass außer Fleisch auch andere Produkte wie Gelatine (in Gebäck, Gummibärchen etc.), Brühwürfel, Arzneimittel und andere pharmazeutische Produkte oder Kosmetika Überträger sein können. Der Würgegriff der Bedrohung zog sich zu. Mittlerweile waren im britischen Inselreich mehr als 20 menschliche Opfer der Seuche zu beklagen.
Ende letzten Jahres war es mit der mitleidig-distanzierten Haltung der Deutschen endgültig vorbei: Mit dem jetzt eingesetzten Schnelltest wurden vor allem in Niedersachsen, aber auch in anderen Bundesländern BSE-verseuchte Schlachtrinder identifiziert. Jetzt war der schleichende Tod so nahe gerückt, dass auch dem Deutschen die Wurst nicht mehr Wurst war. Landwirte und Schlachter blieben in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß auf ihrem Rindfleisch sitzen. Wenn das Heer der Verbraucher solche Macht demonstriert, kommt auch die Politik in Bewegung. In der Regel müssen dann erst mal Köpfe rollen. In diesem Fall waren es nicht nur die Köpfe von Landwirtschaftsminister Funke und Gesundheitsministerin Fischer, sondern auch die Tausender Rinder. Denn der Deutsche an sich ist gründlich: Ist auch nur ein Tier nachweislich erkrankt, muss die ganze Herde sterben.
War schon der drastische Verbraucherboykott bemerkenswert, so entstehen jetzt auch merkwürdige Bündnisse. Landwirte und Tierschützer organisieren Massendemonstrationen gegen die unnötige Tötung der Tiere. Eine tränenüberströmte Kälberpflegerin blockiert im Widerstand gegen die Staatsgewalt mit ihrem Kleinwagen den Abtransport einer riesigen Herde. Hut ab, eigentlich, vor soviel Courage.
Doch in diesem Fall entziehen sich die Argumente der Demonstranten einer gewissen Logik. Denn das deutsche Rind als solches wird ohnehin auf der Schlachtbank landen. Der Landwirt hält es nicht als Kuscheltier, und auch die rührende Kleinwagenfahrerin hat ihre Kälber gehätschelt, damit sie mit möglichst großem Ertrag irgendwann dem Bolzenschuss erliegen. Ob das nun früher oder später passiert, ist doch … Wurst. Für viele Tiere, die in dunklen Ställen ohne Stroh dahinvegetieren, ist es sogar eine vorgezogene Erlösung von ihrer Pein. Wir müssen nun nicht gleich ein Volk von Vegetariern werden, aber so lange wir nicht unsere Einstellung zur Haltung und Fütterung von Nutztieren grundlegend ändern, sind solche Auftritte schlichtweg verlogen.
Ein einzelnes Hausschwein, das lange herrenlos in der Stadt herumirrt und schließlich eine Heimat findet, ist der Wilhelmshavener Zeitung gleich mehrere Berichte wert. Gleichfalls das siamesische Hängebauchschwein, das ohne Wissen des Vermieters in einer Wohnung gehalten wird und nach Enttarnung zwangsläufig im Tierheim landet. Schweine sind klüger als der gemeine Haushund und mindestens so empfindsam und schmusebedürftig, und zwar nicht nur die oben genannten, sondern auch all jene, die in dunklen, strohlosen Ställen in einem halben Jahr auf ein Schlachtgewicht von 90 Kilogramm gemästet werden und nach traumatischem Transport zum Schlachthof auf der Wurstsemmel des gerührten Zeitungslesers bei der Lektüre landen.
Nachdem im BSE-Boom die Medien auch noch hormonhaltige Schweine aus dem Archiv gekramt haben, weicht der bewusste Fleischesser auf Geflügel aus. Doch nur, weil ein Herr Pohlmann mit Schimpf und Schande aus dem Land gejagt wurde (und mittlerweile in den USA mit derselben Hühnerquälerei mehr Geld verdient als je zuvor), sind Legebatterien und gruselige Mastställe noch lange nicht Geschichte, sondern Alltag der Tiere, die als Frikassee, knuspriges Brathähnchen oder Frühstücksei (also Embryo) auf unserem Tisch landen. Ganz zu schweigen von den Puten, die schon von Natur aus recht unappetitlich aussehen, aber zu allem Überfluss noch die scharfen Schnäbel (und in der Eile auch mal versehentlich das ein oder andere Auge) weggebrannt kriegen, damit sie sich in der quälerischen Enge nicht gegenseitig verstümmeln.
Bleibt noch das Wild, das zeitlebens quietschfidel in der Natur herumläuft, geschmacksverbessernde Kräuter mümmeln und festes Muskelfleisch entwickeln darf, um – sofern es nicht vorher auf dem landschaftsprägenden deutschen Straßennetz überfahren wird – eines Tages – zackbumm! – mit einem gekonnten Blattschuss in Sekundenschnelle ins Jenseits und die Feinschmeckerpfanne befördert zu werden. Aber ach! nun beichten die Jäger im Zuge des BSE-Outings, dass auch Hirsch und Reh mit seuchenträchtigem Tiermehl angefüttert wurden. Jetzt soll womöglich auch der Jäger Bambis Kopf zum BSE-Test tragen – aber möchte der Abnehmer das anklagend kopflose Reh dann überhaupt noch haben?
In der Hitliste deutscher Umweltskandale nimmt BSE einen besonderen Platz ein. Werden Kälberhormone abgesetzt, so sind die Tiere nach einiger Zeit „clean“. Schwenkt der Verbraucher auf Eier aus Freilandhaltung um, nimmt die Zahl der Hennenknäste ab. Doch BSE wird sich über Jahre bis Jahrzehnte nicht aus der Welt schaffen lassen. Die Übertragungswege sind so vielfältig und längst nicht abschließend erforscht, die Inkubationszeit (zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit) ist so lang, dass wir nicht einfach in wenigen Wochen oder Monaten zur Tagesordnung übergehen können. Den Beteiligten steht das Wasser mindestens bis zum Hals. Es steht zu befürchten, dass der Kunde, der um seine geistige Gesundheit fürchtet, dieses eine Mal nicht unter dem gewohnt raschen Gedächtnis- und Bewusstseinsverlust leiden wird. Nur deshalb gehen jetzt die Landwirte, die sonst als erste gegen Bestimmungen zum Natur- und Tierschutz aufbegehren, gegen eine tier- und menschenfeindliche Agrarpolitik auf die Straße. Nur deshalb filzt der Staat mit Nachdruck die Lager der Tierfutterindustrie.
Ob BSE tatsächlich zu einer Volkskrankheit werden könnte, ist ungewiss. Unter Umständen spielen weitere Umweltfaktoren oder die genetische Veranlagung eine Rolle, damit die qualvolle Krankheit mit unabwendbarer Todesfolge auch Menschen infiziert. Umgekehrt weiß man auch nicht, ob die Erreger mit einer ähnlichen Flexibilität wie das Grippevirus nach neuen Übertragungswegen suchen. Die moderne Bedrohung der Menschheit sind nicht große Kriege und Umweltkatastrophen, sondern winzig kleine, extrem anpassungsfähige Feinde wie die Erreger von AIDS oder Ebola. So wird gemutmaßt, dass Schweine oder Hühner bislang nur deshalb nicht als Überträger von BSE in Frage kamen, weil sie im Unterschied zu Rindern und Schafen eine maximale Lebenserwartung von einem halben Jahr haben, weit unterhalb der Inkubationszeit für BSE bzw. Creutzfeld-Jacob.
Vor diesem bedrohlichen Hintergrund passiert jetzt wesentlich mehr als gewohnt: Die Bundesregierung diskutiert eine grundlegende Wende in der Agrarpolitik. Ökologischer Landbau mutiert vom exotischen, tolerant belächelten Experiment zum letzten Strohhalm. Das Landwirtschaftsministerium wird querschnittsorientiert auf den Verbraucherschutz umgemünzt und mit einem grünen Kopf besetzt. Noch ein Experiment – das nur klappen kann, wenn die Zielgruppen mitspielen.
Eine davon, die Verbraucher, wurden im Januar 2001 im Auftrag der Zeitung „Die Woche“ vom Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt. Demnach würden knapp zwei Drittel der Befragten bei (tier- und umweltfreundlich erzeugtem) Rindfleisch einen Preisanstieg von rund 16 auf 20 Mark pro Kilo akzeptieren, also eine Verteuerung um ein Viertel. Einen Anstieg auf 35 Mark je Kilo und damit mehr als verdoppelte Preise würden indes nur noch fünf Prozent der 1012 Befragten mittragen. Für ein Ei würden 71 Prozent der Befragten statt 30 Pfennig auch 40 Pfennig zahlen, für einen Liter Milch würden 71 Prozent statt 1,10 Mark auch 1,30 Mark ausgeben. Mehr als drei Viertel der Deutschen unterstützen die von der Bundesregierung angekündigte Wende zu einer ökologischen Agrarpolitik, nur zwölf Prozent lehnen sie ab. Allerdings glauben 50 Prozent nicht mehr, dass Rindfleisch sicher ist, auf die Sicherheit von Schweinefleisch setzen nur 46 Prozent.
Die zweite wesentliche Zielgruppe sind die Landwirte. Diese sind grundsätzlich der Ansicht, die maßgeblichen Natur- und Umweltschützer zu sein. Das stimmt insofern, als das jede Fläche, die landwirtschaftlich genutzt wird, nicht durch Wohn- oder Gewerbegebiete oder Straßen versiegelt ist. Was allerdings dem Boden- und Wasserhaushalt zugemutet wird, steht auf einem anderen Blatt. Betriebswirtschaftlich gesehen, wird jeder Landwirt nur ein Optimum an teuren Dünge- und Pflanzenschutzmitteln und Maschinen einsetzen. Wie hoch dieses Optimum ist, bestimmen allerdings die Vorgaben der Hersteller und die Subventionspolitik von Bund und EU. Ein bodenständiger Landwirt wird im großen Abstand um ein Kiebitznest herum mähen; der Lohnunternehmer, den er beauftragt, hat keine Zeit dazu. Welch unterschiedliches Verhältnis Landwirte zu den ihnen anvertrauten Tieren und Länderein besitzen, habe ich auf verschiedenen konventionellen Betrieben selbst erlebt. Der eine schickt seine Kühe fast ganzjährig auf die Weide und kennt alle 120 mit Namen. Auch betagte Tiere mit geringer Milchleistung erhalten ihr Gnadenbrot. Ein anderer Landwirt nutzt seine Flächen in erster Linie zur Entsorgung überschüssiger Gülle. Milchkühe und Kälber werden in der konventionellen Milchviehhaltung voneinander getrennt. Die Milch ist für den Menschen gedacht, das Kalb erhält Milchaustauscher aus Wasser mit hocherhitztem, entrahmten Milchpulver (das, wie jetzt bekannt wurde, auch Tiermehl enthalten kann). Der Schweinezüchter hätschelt seine Zuchttiere wie eigene Kinder. Zweimal täglich wird das Stroh gesäubert. Der Lieblingseber, groß wie ein Pony und sanft wie ein Lamm, wurde ich in der Sommerhitze geduscht und gebürstet, was er sichtlich genoss. Als der gesamte Bestand, vom winzigen Ferkel bis zum riesigen Zuchteber, wegen Schweinepest gekeult werden musste, vergoss der Bauer bittere, ehrliche Tränen. Nichtsdestotrotz wurden die nicht zuchttauglichen, zur Mast aussortierten Schweine, wenn sie durch Bewegungsmangel oder Infektionen nicht mehr laufen konnten, bis zum Schlachttag an den Trog gehievt.
Nein, die Bauern sind nicht allein Schuld an dem vielschichtigen Desaster. Täglich verschwinden in Deutschland 120 Hektar (!) unter Siedlungs- und Verkehrsflächen, die 1997 schon ein Fünftel der Republik beanspruchten, während nur noch die Hälfte der Republikfläche landwirtschaftlich genutzt war. Da die Lobby von Wirtschaft, Planung und Politik unantastbar stark ist, kämpfen Bauern, Naturschutz und Freizeitnutzer erbittert um den schwindenden Rest an Freiflächen. Und wenn der Landwirt zum wirtschaftlichen Überleben 100 Tiere braucht, aber keine ausreichenden Flächen mehr besitzt, müssen die Flächen übernutzt werden oder die Tiere ganz im Stall bleiben, zugefüttert mit Futter oft nicht nachvollziehbarer Herkunft und Zusammensetzung.
Naturschützer und Landwirte haben bewiesen, dass sie zäh um ihre Ziele kämpfen können. Der wackere Landmann besitzt dabei mit PS-starken Schleppern auf der Straße oder einer Fuhre Mist vor dem Landtag die bessere Durchschlagskraft. Bislang hat er sie wenig zielgerichtet eingesetzt. Demonstriert wurde gegen alles, was ihm bedrohlich erschien – Vogelschützer, Nationalparke, Maststallverhinderer, Erhöhung der Dieselpreise, im Wendland auch mal gegen Castor-Transporte und jetzt, angesichts der BSE-Krise, gegen eine tier- und menschenfeindliche Agrarpolitik. Sehr widersprüchlich also ist des Landmanns Zorn. Sollte BSE jetzt bewirken, dass seine Naturverbundenheit vom Lippenbekenntnis zur Überzeugung wird?
Leider bedarf es meist einer konkreten Bedrohung des Geldbeutels, um eine Bewusstseinsveränderung herbeizuführen. Die Natur schlägt zurück. Die jahrelange ekelhafte Praxis, reine Vegetarier, was Rinder nun mal sind, mit gemahlenen, hocherhitzten Leichen ihrer Verwandten zu füttern, ist nach hinten losgegangen. Der Science-Fiction-Klassiker „Jahr 2022 – Die Überleben wollen“ von 1973, in dem nutzlos gewordene Mitglieder der menschlichen Zivilisation getötet und zum Grundnahrungsmittel „soilent green“ verarbeitet werden, ist ein Stück weit Realität geworden. Die Bilder schlaffer, dreckiger Tierkadaver, die im Mahlwerk der Tiermehlfabrik verschwinden, wurden auch in der Vergangenheit schon gezeigt. Jetzt sind sie untrennbar mit anderen Bildern verbunden: Für den Verbraucher mit blicklosen, siechenden Menschen, deren Gehirn sich in eine schwammige Masse verwandelt; für den Landwirt mit einem leeren Stall, dessen vierbeinige Bewohner unter Polizeischutz zum Schlachthof abgeführt werden. Oder aber mit einem überfüllten Stall, in dem längst schlachtreife Tiere kostenintensiv weiter gefüttert werden müssen, weil dem Endverbraucher der Appetit vergangen ist.
BSE: Rien ne va plus. Werden wir in Zukunft Ökos und Landwirte einträchtig gegen Uniformierte und Wasserwerfer marschieren sehen?
BSE ist wie atomare Strahlung; Man kann es, ist das Tier erst mal verwurstet, nicht sehen, riechen, schmecken. Nur spezielle Tests, die dem einzelnen Bürger nicht zur Verfügung stehen, lassen die Gefahr erkennen, die sich erst Jahre oder Jahrzehnte später als schleichende Krankheit mit Todesfolge offenbart. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass die Atommafia eine ganz andere Macht besitzt als die Landwirtschaft, der die Staatsmacht aus
überwiegend populistischen Gründen gelegentlich Gehör schenkt. Ein ganz anderer Unterschied besteht darin, dass der Verbraucher durch sein tägliches Verhalten, nämlich die Auswahl der gekauften und verzehrten Produkte, erheblichen Einfluss auf seine persönliche Betroffenheit nehmen kann, während er sich die (radioaktiv verseuchte) Luft, die er atmet, nicht aussuchen kann, eben so wenig wie er ausschließen kann, ob Wasser und Boden, mit bzw. auf dem seine Nahrung (auch aus Öko-Anbau) gewachsen ist, im routine- oder störfallmäßigen Einzugsbereich eines Atomkraftwerkes liegt.
Kann er nicht? Seit der Freigabe des Strommarktes liegt es in der Hand des Endabnehmers, Elektrizität aus Sonne, Wind und Wasser zu beziehen und damit deren Marktposition zu stärken. Da es jedoch zum guten Ton gehört, sich mit „Schnäppchen“ zu brüsten, haben Billigstanbieter wie „Yellow Strom“ die besseren Karten. Und damit fördern deutsche Stromabnehmer Atomstrom aus Frankreich – die meisten wahrscheinlich unwissentlich, der Rest nach dem Sankt-Florians-Prinzip „ist-ja-weit-weg“.
Am Ende sollte noch was Positives kommen. Geben wir uns also der Vision hin von riesigen Demos aus Verbraucher/innen und Landwirt/innen, die glotzäugige Tierkadaver vor dem Reichstag stapeln. Von glücklichen Kühen, Schweinen, Hühnern, Puten – und glücklichen Bauern, deren neuer, tier- und verbraucherfreundlicher Weg vom Staat subventioniert und vom Verbraucher mitgetragen wird, der seinen Schnitzelkonsum drastisch reduziert und, zwar seltener, weil teurer, aber dafür einen wirklich leckeren Braten in der Röhre hat. Vom Bundeskanzler, der sich nicht mehr von einer Vegetarierin scheiden lässt, um, Kraft seiner Hormone, die nächste anzuhimmeln und zu heiraten.
Mehr noch: Die Vision eines großen Bündnisses, das sich sein Grundrecht auf Gesundheit nicht mehr vom Polizeistaat nehmen lässt. Es ist schon pervers, dass heutzutage harmlose Rindviecher wie Atommüll einen staatlich verfügten Weg gehen, der notfalls gegen Kritiker freigeprügelt wird. Vor allem sollten wir aus der BSE-Krise – wenngleich deren Nachhaltigkeit noch abzuwarten bleibt – gelernt haben, dass dem Kapitalismus vor allem der gewaltfreie Widerstand durch Konsumverzicht verdammt weh tut. So weh, dass endlich was in Bewegung kommt.
Ein Gespenst geht um, das heißt BSE. Es liegt beim Verbraucher, ob es ein böser Geist bleibt – oder ein guter, der das wirklich Böse in die Flucht schlägt.

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