Arbeit und Sozial
Mai 292002
 

Transparenz und Kahlschlag

Wem nützt die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe?

(ub) SPD und Grüne sind sich einig: Die Arbeitslosenhilfe soll abgeschafft werden. Stattdessen sollen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer einheitlichen Leistung verschmelzen, die von nur noch einer Behörde verwaltet wird. Die Meinungen zu diesem jüngsten rot/grünen Reformentwurf gehen weit auseinander. Mehr Transparenz, weniger Bürokratie und eine „erfolgreichere Eingliederung der Hilfeempfänger in den Arbeitsmarkt“ verspricht beispielsweise die Financal Times ihren Lesern. Gewerkschafter hingegen befürchten, so die tageszeitung, einen „Kahlschlag in den Kassen von Joblosen und Kommunen“. Noch gibt es nur grob gerasterte Vorstellungen über die Auswirkungen dieser sehr weitgehenden sozialstaatlichen Veränderung. Der Gegenwind hat grundlegende Fakten zur bisherigen Praxis zusammengestellt und ist der Frage nachgegangen, wem diese Sozialgesetzänderung nützt oder schadet.

 Im Spiegel war Ende März zu lesen, dass hochrangige SPD-Politiker aus Bund und Ländern bei einem Treffen ein internes und geheimes Papier bezüglich einer möglichen Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe diskutiert haben. In einer Pressemitteilung vom 29.4.2002 teilt die Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland (Ali) mit, dass dieses „Geheimpapier“ ins Netz gestellt mittlerweile allgemein zugänglich sein soll. Die Ali umreißt die sozialdemokratischen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wie folgt: „Als zentrales Ziel wird in dem Arbeitspapier die Schaffung einer einheitlichen Leistung in einer einzigen Behörde genannt. Das soll sowohl die arbeitsmarktfördernden aktiven Leistungen betreffen, als auch die zu zahlenden monatlichen Lohnersatzleistungen…. Die Regelungen der Arbeitsvermittlung sollen sich an die Bestimmungen des heutigen Sozialhilferechts anlehnen…die Leistungen sollen auf das ‚absolute Existenzminimum’ abgesenkt werden.“
Nun war auch bisher ein Arbeitslosenhilfebezieher nicht auf Rosen gebettet und auf den ersten Blick unterscheidet sich die Höhe der gezahlten Arbeitslosenhilfe auch nur unwesentlich von der Sozialhilfe. Statistisch gesehen erhält nur der geringere Teil der Bezieher von Arbeitslosenhilfe mehr Geld als der durchschnittliche Sozialhilfeempfänger. Beide Leistungsarten unterscheiden sich, wie im Folgenden dargestellt, jedoch in nicht unerheblichen Einzelheiten.

Die Höhe der Leistung

Die Höhe der Arbeitslosenhilfe wird bestimmt durch das vormals erzielte Arbeitseinkommen. Hilfeempfänger mit Kindern beziehen im Durchschnitt 57 % ihres letzten Nettoeinkommens, ohne Kids werden 53 % gezahlt. Der Sozialhilfe liegt ein fester Regelsatz von derzeit rund 285 Euro zu Grunde. Die Ausgaben für Miete und Mietnebenkosten sind angepasst an regionale Mietpreisbedingungen gedeckelt. Der Sozialhilfebedarf setzt sich zusammen aus dem Regelsatz und den (nach oben begrenzten) Ausgaben für das Wohnen. Während nun der Bezieher von Arbeitslosenhilfe die Möglichkeit hat, durch andere Leistungen wie z.B. Kindergeld, Wohngeld, Rente etc. sein verfügbares „Einkommen“ aufzubessern, ist dies dem Sozialhilfeempfänger verwehrt. Jede andere Einkommensquelle (beispielsweise Unterhalt, Erwerbsminderungsrente oder Abfindungszahlung bei betriebsbedingter Kündigung durch den Arbeitgeber) reduziert in der Regel automatisch die Sozialhilfeleistung.

Der Job nebenbei

Bezieher von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe dürfen zusätzlich zu der gezahlten Leistung Nebeneinkünfte aus Arbeit erzielen. Unterschiedlich jedoch sind die Obergrenzen bis zur jeweiligen Anrechung. Bei der Arbeitslosenhilfe sind monatlich mindestens 165 Euro, maximal 20 % der ausgezahlten Arbeitslosenstütze, anrechnungsfrei. Die anrechnungsfreie Höchstgrenze des Nebeneinkommens des Sozialhilfeempfängers schwankt je nach Höhe der gesamt gezahlten Sozialhilfe zwischen ca. 70 und 140 Euro.

Ersparnisse aus besseren Zeiten

Sowohl bei der Berechung von Sozialhilfe als auch bei der Arbeitslosenhilfe wird vorhandenes Vermögen berücksichtigt. Es gibt so genannte Vermögensfreigrenzen. Der Unterschied zwischen Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfebezug ist gravierend!
Einem Sozialhilfeempfänger werden lediglich 1279 Euro auf der „hohen Kante“ zugebilligt. Seine Lebenspartnerin, deren „Vermögen“ ja mit angerechnet wird, darf ganze 614 Euro, beispielsweise in Aktien angelegt, haben. Alles, was diese Summen übersteigt, muss zunächst verbraucht werden, bevor ganz oder teilweise Sozialhilfe gezahlt wird.
Hier ist der Bezieher von Arbeitslosenhilfe deutlich besser dran. Pro Lebensjahr wird ihm und seiner Partnerin jeweils eine Rücklage von 520 Euro zugebilligt. Das ergibt beispielsweise bei einem Paar mit einem Lebensalter von 55 Jahren eine nicht anrechnungsfähige Ersparnis von 57.200 Euro. Zum Vergleich: Bei einem Paar, welches Sozialhilfe bezieht, spricht man ab ca. 2.000 Euro von anzurechnenden Vermögen! An dieser Stelle wird die Auswirkung, die eine Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe für den Bezieher haben kann, besonders deutlich. Ein über Jahrzehnte angespartes kleines Vermögen muss von einem im Alter arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer erst fast vollständig verbraucht werden, bevor staatliche Leistungen (Sozialhilfe) greifen.

Rente und Zumutbarkeit

Die Zeiten, in denen Arbeitslosenhilfe bezogen wird, sind rentenrechtlich gesehen Beitragszeiten. Das heißt, auch wenn nur geringe Beträge gezahlt werden, führen diese jedoch letztendlich zur Steigerung der späteren Rente. Wer Sozialhilfe bezieht, erhöht seine Beitragszeit und damit seine zu erwartende Rente nicht.
Die Zumutbarkeitsregelung der Arbeitsämter besagt, dass als zumutbar jede Arbeit gilt, bei der ein Nettoeinkommen über der Höhe des Arbeitslosenhilfe erzielt werden kann. In der Sozialhilfe gibt es eine solche Zumutbarkeitsregelung nicht. Hier gilt, dass grundsätzlich jede Tätigkeit, und sei es bei einem Stundenlohn von 2 Euro, angenommen werden muss. Andernfalls kann die Sozialhilfe gestrichen werden!

Eine Reform für den Staatshaushalt…

Unterstellt man, dass bei der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe die Anpassung in Richtung der Bedingungen der Sozialhilfe erfolgt, ist eindeutig klar, dass sich die Situation der Arbeitslosenhilfeempfänger drastisch verschlechtert.
Das jüngste Reformvorhaben der rot/grünen Bundesregierung soll vor allem eins – den Staatshaushalt sanieren.
Die Financial Times vom 15.4.2002 rechnet vor: „Bei einer Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe erwartet die Bundesregierung Einsparungen von jährlich 5 Mrd. Euro…“ Für die Ali Wilhelmshaven ist klar, zu wessen Lasten: Sie rechnet mit „geplanten Leistungskürzungen für Hunderttausende, mit den Familienangehörigen gar Millionen Menschen in diesem Land…“. In der Pressemitteilung der Ali vom 29.4. heißt es dazu weiter: „…die Leistungen sollen auf das absolute Existenzminimum abgesenkt werden. Gesucht wird nach einer Lösung, die … am kostengünstigsten ist.“
In einer Pressemitteilung des DGB vom 24. April verdeutlicht dessen Regionalvorsitzender Manfred Klöpper befürchtete Auswirkungen für Arbeitslose und Kommunen: „Im Sommer letzten Jahres erhielten allein im ehemaligen Verwaltungsbezirk Oldenburg 16.017 Menschen Arbeitslosenhilfe… Bei einer generellen Absenkung auf Sozialhilfeniveau würde, so Klöpper, ein Drittel bis die Hälfte der bisherigen Arbeitslosenempfänger vom Staat keinerlei Unterstützung erhalten. Sie erhielten auch bei einer Streichung der Arbeitslosenhilfe keine Leistungen des Sozialamtes, da anderweitiges Familieneinkommen angerechnet wird. Die andere Hälfte der Empfänger von Arbeitslosenhilfe würde mit einem Schlag zum Sozialhilfeempfänger werden. Die Einschnitte würden voll auf die kommunale Sozialhilfe durchschlagen.“ Dies ist, so Klöpper weiter, „für keine Gemeinde unserer Region verkraftbar und auch den Arbeitslosen und ihren Familien nicht zumutbar.“

…und die Arbeitgeber

Die von den Befürwortern gern auch als „Hilfe aus einer Hand“ bezeichnete Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe soll, so die Financial Times weiter, „auch für eine erfolgreiche Eingliederung der Hilfsempfänger in den Arbeitsmarkt sorgen“ (ebenda). Wie das aussehen kann, erklärt die Bremer Sozial- und Arbeitssenatorin Karin Röpke (SPD) in einem taz-Interview vom 8. April d. J.: „Für die Hilfesuchenden ist das derzeitige System, also das Nebeneinander von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, wenig transparent. Es darf doch nicht sein, dass nur diejenigen arbeitsmarktfördernde Maßnahmen in Anspruch nehmen können, die in der Arbeitslosenhilfe sind….Wir wollen mit dem ‚Fallmanagement‘ in den Sozialzentren erreichen, dass die guten Möglichkeiten der Arbeitsämter zusammengeführt werden mit den Angeboten der kommunalen Beschäftigungsprojekte, die bei den Sozialhilfeträgern angesiedelt sind.“
Gewerkschafter und Vertreter von Arbeitsloseninitiativen befürchten hingegen, dass durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe mehr Arbeitslose durch entsprechenden Druck der Ämter gezwungen werden könnten, schlecht bezahlte sogenannte Niedriglohnjobs anzunehmen. Eine Entwicklung, die Arbeitseinkommen und -bedingungen aller Erwerbstätigen negativ belasten würde.

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