Ali-Versammlungen
Okt 112007
 

September + Oktober

Großer Tag?

Als einen „großen Tag auch für den Geldbeutel“ bezeichnete die WZ den ersten Schultag, und Ernst Taux von der Arbeitsloseninitiative befürchtet, dass Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften sich von den Ausgaben für den 1. September so schnell nicht wieder erholen werden. Die „200 Euro von nix“, die Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften für die SchulanfängerInnen zum 1. September aufbringen mussten, sind ja noch nicht alles. Im Lauf des Schuljahres werden weitere Kosten hinzukommen.


Die 50 Euro pro Kind, die im Schulfonds in Oldenburg für jedes bedürftige Kind vorgesehen sind, sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. In Göttingen sind es übrigens 80 Euro pro Kind – schon etwas besser, aber auch nicht ausreichend.
Aber bleiben wir mal in der näheren Umgebung: Im Kreis Friesland brachte das Linksbündnis zusammen mit seinen Gruppenpartnern „Menschenmüll“ und den Grünen einen entsprechenden Antrag im Kreistag durch. Dort stehen jetzt 20.000 Euro für Schulmaterialien für arme Kinder zur Verfügung. Allerdings berichtet Ernst Taux: Anrufe bei den friesischen Gemeinden ergaben, dass dort niemand Bescheid wusste. Gab es da ein Kommunikationsproblem? Nein. Es stellte sich heraus, dass von dem Schulfonds im Kreis Friesland nur die Schülerinnen und Schüler der Schulen profitieren, die in Trägerschaft des Landkreises stehen. Und das heißt: Erst ab Klasse 5 können friesische Kinder vom Schulfonds Unterstützung erhalten. Die Grundschulen stehen allesamt in Trägerschaft der Gemeinden.
Und wie sieht es in Wilhelmshaven aus? Da gibt es an finanzieller Hilfe für bedürftige Schulkinder – nichts. Jedenfalls nichts von der Stadt, denn im Rat der Stadt werden entsprechende Anträge bzw. Anfragen (die von der LAW eingebracht werden) jeweils abgelehnt.
Und so wiederholte Ernst Taux in der ALI-Monatsversammlung im September seine Anregung, die er schon in einer früheren Versammlung vorgetragen hatte: Schulkosten, so sagt er, sind Ausgaben im Hinblick auf die spätere Erwerbstätigkeit und also vorweggenommene Werbungskosten. Als solche sollen Familien mit Kindern sie beim Job-Center beantragen, als Zuschuss, notfalls als Darlehen, oder auch als Abzug vom anzurechnenden Kindergeld. Der Antrag wird abgelehnt werden, das ist klar absehbar. Der nächste Schritt ist dann der Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid, der ebenfalls abgelehnt werden wird. Und dagegen sollen die Antragsteller dann beim Sozialgericht Klage erheben. (noa)


Umschichtung von unten nach oben

Die Familienpolitik begünstigt die Gutsituierten zu Lasten der Armen

(noa) Schade, dass die ALI-Versammlung am 9.10. nicht ganz so gut besucht war wie die meisten in den letzten Monaten. Der Vortrag von Erika Biehn aus dem Vorstand der BAG-SHI war nämlich wirklich aufschlussreich.

Die BAG-SHI ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen, der Frau Biehn seit vielen Jahren angehört. Ihr Vortrag trug den Titel „Familienpolitik als armutsfördernde Begünstigung der Mittelschicht“.
Die gegenwärtige Familienpolitik wird auf der Grundlage des Familienreports 2005 betrieben und soll die dort festgestellten Trends umkehren: Immer weniger Menschen heiraten, und wenn sie es tun, dann immer später; vor allem stellen die AkademikerInnen die höchste Quote an Unverheirateten. Die Kinderlosigkeit nimmt zu, ein Drittel der Menschen in Deutschland bekommt keine Kinder, und 26,3 % der Männer sowie 14,6 % der Frauen wollen keine Kinder. Obwohl fast alle Frauen, die sich Kinder wünschen, Familie und Beruf vereinbaren wollen, geben doch zwei Drittel die Arbeit auf, wenn sie ein Kind bekommen, und 75 % kehren erst spät in das Arbeitsleben zurück. Mit 68 % hat Deutschland die schlechteste Integrationsrate von Frauen in den Arbeitsmarkt.
2005, als es das Erziehungsgeld noch gab, nahmen 93,1 % aller Eltern diese Leistung in Anspruch, wobei der Anteil der Väter, die zu Hause blieben, um ihr Kind zu betreuen, einen verschwindend geringen Bruchteil darstellten. Kinderbetreuung, vor allem die unter drei Jahren, ist in Deutschland noch völlig unzureichend, und dasselbe gilt für die Hortsituation für Grundschulkinder.
Das Erziehungsgeld ist zum Ende des Jahres 2006 abgeschafft worden, und nun gibt es das „Elterngeld“. Es beträgt 67 % des letzten Nettogehalts, wenn man die Arbeit ganz oder teilweise aufgibt; der Mindestsatz liegt bei 300 Euro, der Höchstsatz bei 1800 Euro monatlich. Nicht Erwerbstätige bekommen den Mindestsatz, und das waren bisher 54 % aller Väter und Mütter, die es beantragt haben.
Diese Menschen, die den Mindestsatz bekommen, haben durch das neue Instrument Elterngeld einen Nachteil gegenüber dem früheren Erziehungsgeld, denn es wird nur ein Jahr lang gezahlt. Der niedrige Sockelbetrag wirkt demotivierend auf Geringverdienende, und die verkürzte Bezugsdauer richtet sich an gut verdienenden, qualifizierten Frauen aus, die schnell wieder in den Beruf zurückkehren wollen. Der Zweidrittel-Lohnersatz erhöht die Geburtenneigung beruflich etablierter Paare, und die Bonusmonate (das Elterngeld läuft zwei zusätzliche Monate, wenn ein Vater zu Hause bleibt) motivieren vor allem gut verdienende beruflich etablierte Männer. Diese Tatsachen zeigen: Das Elterngeld soll selektiv-bevölkerungspolitisch wirken; hauptsächlich die, die beruflich fest im Sattel sitzen und gut verdienen, sollen zum Kinderkriegen animiert werden; die schlecht Qualifizierten und Erwerbslosen sollen möglichst keine Kinder in die Welt setzen.
Auch Alleinerziehende erwerben durch das Elterngeld keine finanzielle Unabhängigkeit, und über die Hälfte der Alleinerziehenden stand sich mit dem Erziehungsgeld besser.
Das Elterngeld erweist sich somit als eine Umverteilung von Sozialleistungen von unten nach oben: Denen, die sie am dringendsten benötigen, werden sie gekürzt, den Bessergestellten werden sie gegeben. Das lässt sich nicht nur anhand der bis hierher genannten Fakten, sondern auch mit Gesamtzahlen belegen: 1,5 Mrd. Euro kostet das Elterngeld, während die Verschlechterungen für Familien seit Anfang 2006 mit 19,8 Mrd. Euro beziffert werden können.
Umverteilung von unten nach oben, das gilt auch für das „Familiensplitting“, das bislang erst geplant ist. Es ist eine Fortschreibung und Erweiterung des Ehegattensplittings und wird erst ab einem Jahreseinkommen von 69.000 Euro lukrativ – auch hier werden lediglich die besser Verdienenden begünstigt werden.
Und wie ist es mit der „Krippenoffensive“ der Frau von der Leyen? Auch hier geht es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – diejenigen, die gutes Geld verdienen, sollen das so schnell wie möglich wieder tun können, während diejenigen, die keine Arbeit haben, auch keinen Anspruch auf einen Krippenplatz erheben können.
Der junge Liberale, der vor ein paar Jahren ganz unverblümt sagte, es seien die falschen Leute, die Kinder bekommen, es wäre besser, die gut Qualifizierten und gut Bezahlten würden sich kräftig vermehren, verschwand sofort in der Versenkung, und man hörte nie mehr etwas von ihm. Er hatte sich wohl zu deutlich ausgedrückt. Die gegenwärtige Familienpolitik folgt genau diesen Sprüchen – sie verkauft sich nur besser.

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