12 Gesichter für das Ehrenamt
Dez 082016
 

Ein Händedruck ist nicht genug

In Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „Ehrensache WHV“ haben sich 17 Studierende der Jade Hochschule (Fachrichtung Medienwirtschaft und Journalismus) der Aufgabe gestellt, die Vielfalt des Ehrenamtes zu präsentieren. Durch besondere Menschen und ihre Geschichten soll das Interesse am Engagement geweckt werden. Eine Ausstellung mit Fotos von 12 Engagierten zeigt, dass ihnen das gelungen ist. Bei der Eröffnung redete Holger Barkowsky Klartext gegen den oftmals ignoranten Umgang der Politik mit bürgerschaftlichem Engagement.

Studierende der Jade Hochschule und ihre ehrenamtlichen Protagonisten. Foto: Gegenwind

Studierende der Jade Hochschule und ihre ehrenamtlichen Protagonisten. Foto: Gegenwind

Am 8. Dezember wurde die Ausstellung „12 Gesichter für das Ehrenamt“ im „Lieblings.Treffpunkt“ der GPS eröffnet. In einem leerstehenden Ladenlokal in der Marktstraße 101 ist ein neuer inklusiver Treffpunkt entstanden, wo u. a. regelmäßige Workshops stattfinden. Dort ist auch die Freiwilligenagentur untergebracht. Mit Leben und Liebe gefüllt wird der Treffpunkt von Annemarie Rasche, die neben ihrer Kreativ- und Sozialarbeit als Musikerin Annie Soulshine unterwegs und bekannt ist und musikalisch die festliche Stimmung der Vernissage untermalte.

Fotos erzählen Geschichten
Ein gelungenes Portrait, fotografiert von Larissa Strangmann. Foto vom Foto: Gegenwind

Ein gelungenes Portrait, fotografiert von Larissa Strangmann. Foto vom Foto: Gegenwind

Larissa Strangmann sieht sich bescheiden als Teil des 17köpfigen Teams von Studierenden, die Geschichten von Ehrenamtlichen in Wort und Bild erzählen. Tatsächlich hat sie sämtliche Fotos gemacht: Durchweg gelungene (Oberkörper-)Portraits, die im Hintergrund das Einsatzfeld der Ehrenamtlichen zurückhaltend andeuten und gleichzeitig sofort erkennen lassen. Franziska Gadimov, die in der Küche des Lieblings.Treffpunktes den Workshop „So schmeckt Heimat“ anbietet (Gemeinsam kochen Frauen ihre Rezepte aus der Heimat, anschließend genießen die Teilnehmerinnen das Gekochte. Ein multikulturelles Geschmackserlebnis – jeden Dienstag von 10-14 Uhr). Tobias Cassens vor seinem DRK-Rettungsfahrzeug. Naturfotograf Kurt Bernert – ein im Hintergrund vorbeifahrendes Schiff verortet ihn an Wilhelmshavens „Südküste“. Lieblingsfoto: Tierheim-Unterstützer Peter Rachow – im Hintergrund schaut eine Katze sehr aufmerksam in die Kamera. Im Einzelfall ist die Situation angemessen dezent gewählt, Hospiz-Helferin Regina Stückel-Diez ist natürlich nicht am Bett eines sterbenden Menschen zu sehen.

Larissas Bilder erzählen Geschichten, die durch kurze, pointiert-anschauliche Texte anderer Mitglieder ihres Teams noch lebendiger werden. Die Ausstellung ist Teil des Gesamtprojektes, das insgesamt 25 Ehrenamtliche vorstellt. Bereits am 1. Dezember startete eine Serie in der Wilhelmshavener Zeitung: Jeden Tag wird eine engagierte Person in einem von den Studierenden verfassten redaktionellen Beitrag nebst Foto portraitiert.

„Entscheidung über Sozialfonds vollkommen daneben“

Die Eröffnungsrede zur Vernissage hielt Holger Barkowsky, der nach seinem Rückzug aus Rat und Bürgermeisteramt weiterhin, oder sogar mehr als zuvor, ein Fürsprecher und Unterstützer des ehrenamtlichen Engagements bleibt. Er lobte das gelungene Projekt der Studierenden, das sie wieder ein Stück mehr an die Stadt heranbringt. „Hier in der Südstadt tut sich was“, stellte er fest, „sie wird von jungen Menschen mit Leben erfüllt.“ Als weitere Beispiele nannte er die EXPONATA (im Juni präsentierten Studierende im alten Lagerhaus am Handelshafen Arbeitsergebnisse aus Studienprojekten) oder die Suedbar.

Was den Umgang der Politik mit Ehrenamtlichen angeht, zeigte sich Barkowsky sehr zornig: „Die offizielle Anerkennung muss über den „Tag des Ehrenamtes“ (jährlich am 5.12. – red.) hinausgehen – sie muss 365 Tage im Jahr stattfinden!“ Er nahm kein Blatt vor den Mund, als er ein brandaktuelles Negativbeispiel schilderte: „Die Entscheidung über die Einrichtung eines Sozialfonds gestern im Rat war wieder mal vollkommen daneben, denn es wurden gerade die ausgeschlossen, die eine Förderung ganz besonders benötigen, wie die Arbeitslosenhilfe oder die Selbsthilfekontaktstelle, die war vor Monaten eigentlich der Anlass, über einen Sozialfonds nachzudenken – und jetzt ist sie raus!“ Nämlich aufgrund der von CDU und WBV festgelegten Kriterien, dass ehrenamtliche Institutionen, die eine hauptamtliche Kraft beschäftigen – in der Regel eine 400-Euro-Kraft – nicht antragsberechtigt sind. „Da war zu wenig Sachverstand am Werk – man sollte sich vorher schlau machen, ehe man den Finger hebt bei der Abstimmung.“

 

Kommentar:

Gut gebrüllt, Löwe!

 

Zeitgleich mit der Eröffnung der Ehrenamts-Ausstellung im Lieblings.Treffpunkt fand im Gorch-Fock-Haus die jährliche Ehrung von Ehrenamtlichen durch den Oberbürgermeister statt: Alle erhalten eine Urkunde und kommen aufs Gruppenfoto.

Eine sozial und finanziell schwach aufgestellte Stadt wie Wilhelmshaven ist ganz besonders auf bürgerschaftliches Engagement angewiesen, wie Holger Barkowsky richtig bemerkte. Die Leistung engagierter BürgerInnen ist unbezahlbar – und ein Händedruck pro Jahr zu wenig, um ihnen angemessen zu danken. Deutlichere Signale als diese braucht es auch, um neue Ehrenamtliche zu gewinnen. Insbesondere junge Menschen holt man durch altbackene Veranstaltungsformate nicht vom Sofa.

Die Studierenden der Jade Hochschule haben vorgemacht, wie es geht. Warum hat die Stadt nicht diesen Rahmen genutzt, statt parallel dazu ihr langweiliges Traditionsritual durchzuführen? Wer wird überhaupt dazu eingeladen? Wir haben mal rumgefragt bei der Vernissage im Lieblings.Treffpunkt – der Leiter der Freiwilligenagentur WHV (die es seit drei Jahren gibt) war nicht der einzige, den die Stadt anscheinend nicht auf dem Zettel hat.

Klar gibt es auch übers Jahr immer mal einen amtlichen Händedruck für Ehrenamtliche. Es gibt, wie in vielen anderen Kommunen auch, die Ehrenamtscard, die ermäßigten Eintritt in Kultureinrichtungen u.ä. ermöglicht. Doch wie ernst es der Stadt ist mit der Unterstützung ist, zeigt sich erst, wenn es wirklich ernst wird. Ehrenamtliche wollen keine Bezahlung, aber sie müssen die für ihre Arbeit erforderliche Infrastruktur finanzieren können, Gebäude, Fahrzeuge, Arbeitsmittel, tun das oft aus eigener Tasche, aber irgendwo ist die Grenze. Das Stadtteilzentrum Ruscherei stand kurz vor dem Aus, weil die Stadt den ehrenamtlichen Betreibern eine Pachterhöhung aufdrücken wollte. Der Verein zum Erhalt der Südzentrale wurde mit Füßen getreten, dabei wollte er noch nicht mal Geld von der Stadt, sondern nur administrative und juristische Unterstützung. Die Selbsthilfekontaktstelle Wittmund- Wilhelmshaven (SeKo) kümmert sich um mehr als 80 Selbsthilfegruppen allein aus WHV und viele weitere aus Friesland und Wittmund. Im Juli 2016 erhielt der Verein die Bewilligung des Landkreises Wittmund über eine jährliche Zuwendung in Höhe von 5250 €. Stadt Wilhelmshaven? Fehlanzeige. Nur dank der großzügigen Spende eines Wilhelmshavener Bürgers im September in Höhe von 5000,00 € ist die Fortsetzung der Arbeit zunächst gesichert. Die Hoffnung auf den Sozialfonds hat sich mit dem Ratsbeschluss vom 7.12. für die SeKo, die ALI oder auch die AIDS-Hilfe zerschlagen.

Holger Barkowsky war und ist mit Kopf und Herz bei der guten Sache Ehrenamt. Er weiß, wo es brennt, er spricht mit den Engagierten auf Augenhöhe, statt huldvoll nickend auf sie herabzublicken. Ihre Forderungen sind nicht anmaßend, sondern mehr als berechtigt, denn sie geben viel mehr, als sie je zurückerhalten. Seine Wut auf die ehemaligen Rats“kollegen“ ist berechtigt.

Trotz alledem, oder gerade deshalb, nimmt die Ehrenamtskultur in Wilhelmshaven Fahrt auf. Wer „politikverdrossen“ ist, muss nicht Container anzünden oder Rechtspopulisten wählen. Wenn die Ratsmehrheit an den BürgerInnen vorbei regiert, können und sollten sie es selbst in die Hand nehmen, ihre Stadt lebenswerter zu machen, mit vielen kleinen und großen guten Taten.

Imke Zwoch

 

 

Info: Ehrensache WHV

 

2015 startete das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Förderprogramm „Engagierte Stadt“. Mit finanzieller Unterstützung durch große Stiftungen und Unternehmen stehen mehr als drei Millionen Euro zur Verfügung, um die Weiterentwicklung von Engagementstrukturen in Städten und Gemeinden zu stärken.

Bewerben konnten sich zivilgesellschaftliche Träger- und Mittlerorganisationen für Engagement, wie zum Beispiel Freiwilligenagenturen, Bürgerstiftungen oder Seniorenbüros aus Städten und Gemeinden mit 10.000 bis 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. 272 Bewerbungen gingen im Jahr 2015 ein, aus denen in einem zweistufigen Juryprozess 50 Engagierte Städte für das Netzwerkprogramm ausgewählt wurden. Für Wilhelmshaven hat Radio Jade, namentlich Katharina Guleikoff, den Antrag gestellt – mit Erfolg: Bis 2018 stehen 50.000 Euro zur Verfügung, um die Ehrenamtskultur in unserer Stadt zu stärken.

Begleitet wird das Vorhaben von der „Ehrenrunde“, einer Gruppe von Menschen, die langjährige Erfahrungen in der Ehrenamtsförderung haben und sich regelmäßig treffen, um Ideen für konkrete Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Nachdem Katharina Guleikoff als „Mutter und Motor“ des Projekts aufgrund einer beruflichen Veränderung nach Ostfriesland gezogen war, geriet das Projekt einige Zeit ins Stocken. Mit Alexander von Fintel wurde dann ein neuer Koordinator und „Kümmerer“ gefunden, der es wieder in Schwung brachte. Zusammen mit Carola Schede, Lehrbeauftragte an der Jade Hochschule, unterstützte er auch das Projekt der Studierenden.

Weitere Infos: www.engagiertes-wilhelmshaven.de

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